donderdag 25 juni 2015

Update 25-06-2015 waardering voor Prokofieff van een Vorstandsmitglied.

Update 25-06-2015


waardering voor Prokofieff van een Vorstandsmitglied.


8 | Anthroposophie weltweit Nr. 7–8/15
■ Anthroposophische Gesellschaft
Für Sergej Prokofieff hat es nach seinem
Tod weltweit schon viele Gedenkfeiern
gegeben. Dabei aber konnte ein Aspekt
nicht angesprochen werden, und das ist
seine Arbeit im Vorstand der Allgemeinen
Anthroposophischen Gesellschaft am Goetheanum.
Nur sieben Menschen haben ihn
in diesem Zusammenhang erlebt. Als er
in den Vorstand kam, bestand dieser
aus Heinz Zimmermann, Paul
Mackay, Rolf Kerler und mir. Manfred
Schmidt-Brabant war im
Sommer 2000, vor seiner Erkrankung,
noch an Sergej Prokofieffs
Berufung beteiligt gewesen. Mit
Sergej Prokofieff kam auch Bodo
von Plato in den Vorstand, Cornelius
Pietzner löste Rolf Kerler ein
Jahr später, 2002, ab. In den darauffolgenden
Jahren verstarb 2012 Heinz
Zimmermann, 2011 trat Cornelius Pietzner
von der Vorstandsarbeit zurück, und so blieben
fünf Menschen, die im Kontext der Vorstandsarbeit
bis zum Schluss seines Lebens
mit Sergej Prokofieff verbunden waren.
Ohne dass wir es geplant hatten, war damals
die neue Vorstandskonstellation ein
Bild des Westens, des Ostens und der Mitte.
Erstes Vorstandsmitglied aus Osteuropa
Sergej Prokofieff wurde als erstes Vorstandsmitglied
aus einem osteuropäischen
Land berufen. Er hatte von Jugend an persönlich
erlebt, was es bedeutet, wenn das
freie Geistesleben durch politische Willkür
unterdrückt wird. Diese Aspekte konnte er
in unsere Vorstandsarbeit einbringen, und
sie waren sehr wertvoll für uns. Er hatte in
Bezug auf die Anthroposophie im russischen
Untergrund an einem regen Leben
teilgenommen, alles unter großer Gefahr.
Was hat das bewirkt? Mut. Immer hat er
während unserer Vorstandsarbeit diesen
Mut gezeigt, Mut für richtige Entscheidungen,
Unternehmungen und so weiter, Mut
für die Anthroposophie, Mut für Rudolf
Steiner. Das war ein Teil seines Wesens. Das
erlebten wir auch bei der Wiedereröffnung
der Anthropsophischen Gesellschaft in
Russland 1991; Manfred Schmidt-Brabant,
Heinz Zimmermann, Rolf Kerler und ich
konnten dabei sein. Falls wir Sergej Prokofieff
nicht schon vorher gekannt haben –
hier konnten wir ihn in seinem Zusammenhang
erleben.
Fünf Zielsetzungen
Sergej Prokofieff hat enorm viel publiziert
und 2014 ein Gesamtverzeichnis
seiner schriftlichen Werke zusammengestellt.
In diesem Verzeichnis hat
er biografische Aussagen gemacht
und beschrieben, welche
Ziele und Themen er hatte,
als er die Berufung in den
Vorstand bekam: «Als ich im
Jahr 2001 in den Vorstand
der Allgemeinen Anthroposophischen
Gesellschaft am
Goetheanum und die Leitung
der Freien Hochschule
für Geisteswissenschaft berufen
wurde, stimmte ich vor allem
deshalb zu, um auch an diesem Ort an den
fünf anthroposophischen Themen intensiv
zu arbeiten, die von mir bisher schon vielfach
behandelt worden waren, denn sie
erschienen mir damals, erscheinen mir
heute und vor allem für die Zukunft auf untrennbare
Weise dem Goetheanum anzugehören,
insofern es sich im Sinne dessen,
was Rudolf Steiner wohl von ihm erhofft
hatte, weiter entwickeln möchte, damit es
tatsächlich zum Ort der neuen Mysterien
werden kann. Diese Themen sind:
1. die Pflege der Beziehung zu Rudolf Steiner
2. die Vertiefung der anthroposophischen
Inhalte und vor allem der anthroposophischen
Christologie
3. die Erarbeitung eines immer besseren
Verständnisses der Weihnachtstagung
1923/24 als der Begründung der neuen
Mysterien
4. die Entfaltung der Esoterik der Anthroposophischen
Gesellschaft (oft fälschlicherweise
mit der Esoterik der Ersten
Klasse verwechselt). Denn die Begründung
der Allgemeinen Anthroposophischen
Gesellschaft war ein esoterischer
Akt höchster Ordnung. Für die Pflege
dieser besonderen Esoterik der Gesellschaft
und des gegenseitigen Austausches
ihrer Mitglieder hatte Rudolf Steiner
an der Weihnachtstagung ein spezielles
Organ geschaffen: ‹Was in der Anthroposophischen
Gesellschaft vorgeht.
Nachrichten für deren Mitglieder›
5. Die Stärkung der Wirksamkeit der Ersten
Klasse der Freien Hochschule für
Geisteswissenschaft durch Erkenntnisarbeit
und die Weiterentwicklung der
Allgemeinen Anthroposophischen Sektion
als Ort der geistigen Forschung.»
Nun möchte ich die Worte von Sergej
Prokofieff vorlesen, unterbrochen durch
meine Erfahrung der von ihm beschriebenen
Lage: «Nach den zehn Jahren meiner
Vorstandstätigkeit muss ich jedoch sagen:
Dieses Ziel konnte ich nicht erreichen. Es ist
mir nicht einmal gelungen, anfängliche
Schritte dafür in nachhaltiger Form am
Goetheanum zu verankern.» Aus meiner
persönlichen Sicht und als Vorstandskollegin
meine ich: Es ist zu früh, um einschätzen
zu können, was von seiner Persönlichkeit
und von seinem Wirken am Goetheanum
geblieben ist. Die Zeit wird es zeigen, zumindest
ist das meine persönliche Hoffnung.
Christologie Rudolf Steiners
«Ebenso traf der im zweiten Jahr meiner
Vorstandstätigkeit unternommene Versuch,
eine christologische Sektion am Goetheanum
einzurichten, auf keinen positiven
Widerhall.» Hier kann ich sagen, dass
zumindest ich – und ich glaube, auch die
anderen Kollegen – seine Absicht in diesem
Sinn nicht wahrgenommen haben. Auch
sind wir immer davon ausgegangen, dass
die Christologie Rudolf Steiners als Thema
der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion
innewohnt. Im Vorstand haben wir
einander Zuständigkeiten zugesprochen,
und Sergej Prokofieff und ich haben die
Christologie Rudolf Steiners aufgenommen.
Sergej Prokofieff hat diese Zuständigkeit
beispielhaft erfüllt.
Weiter schreibt er: «Auch kam es während
meiner zehn Jahre im Hochschulkollegium
zu keinem gemeinsamen Gespräch
über die in meinen Büchern enthaltenen
anthroposophischen und Hochschul-Themen.
» Dieser Punkt stimmt, leider. Mehrere
Kollegen konnten sich nicht genug von
ihren Verantwortungen befreien, um die
umfangreichen Bücher zu lesen. Die wöchentlichen
Sitzungen beanspruchen sehr
viel Zeit. Als ich den Rückblick auf meine
31 Jahre vorbereitete, bemerkte ich, dass ich
vor 31, vor 25, vor 20 Jahren viel mehr Zeit
für das Bücherstudium und die eigene Forschung
hatte, als das heute der Fall ist. So
gab es tatsächlich kein Gespräch über diese
großartigen Bücher. Doch dann schreibt er:
«Dennoch bin ich nach wie vor der Überzeugung,
dass allein die Verwirklichung
Generalversammlung: Totengedenken für Sergej O. Prokofieff
Große schöpferische Kraft
Beim Totengedenken im Rahmen der Generalversammlung wurde am 28. März Sergej O.
Prokofieffs und Hella Wiesbergers gedacht. Die Ansprache von Virginia Sease zu Sergej
O. Prokofieff wird hier in den Teilen dokumentiert, die sich auf seine Arbeit im Vorstand
am Goetheanum beziehen.


dieser fünffachen Aufgabe die Anthroposophische
Gesellschaft, die Freie Hochschule
für Geisteswissenschaft und das
Goetheanum – als deren Zentrum – zu dem
machen kann, was die geistige Welt im Sinne
des Zeitgeistes von ihnen erwartet.»
Zum Schluss schaut Sergej Prokofieff
auf die Zukunft: «Und ich hoffe, dass auf
dem Weg seiner [des Zeitgeists] Erfüllung
meine schriftlichen Ausarbeitungen eine
vertiefende und helfende Wirkung für alle
in dieser Richtung Suchenden haben werden.
» Dieser Satz gehört vielleicht zu seinem
wichtigsten Vermächtnis.
Hören auf die Mitglieder
Für unsere anthroposophische Arbeit
hat natürlich Sergej Prokofieff sehr wesentliche
Beiträge geleistet, und es war immer
eine Bereicherung, wenn er etwas beizutragen
hatte. Er konnte komplizierteste Zusammenhänge
in kürzester Zeit darstellen,
wenig sichtbare Beziehungen doch sichtbar
machen. Klar und gewissenhaft konnte
er zu jedem Beitrag die exakten Quellen
angeben, wenn er etwas von Rudolf Steiner
referierte. Es war eine enorme Bereicherung
für unseren kleinen Vorstandskreis.
Wenn man auf diese Jahre von seiner
Bestätigung Ostern 2001 bis zu seiner Emeritierung
2012 zurückblickt, so waren diese
Jahre für die Allgemeine Anthroposophische
Gesellschaft sehr herausfordernde, schwierige
Jahre. Vieles war sehr unerfreulich, zum
Beispiel die Konstitutionsfrage mit den verschiedenen
Kontroversen, juristischen Verfahren
bis hin zu Finanzfragen, und dann,
2011, ein Misstrauensvotum gegenüber
dem Vorstand. Drei Vorstandsmitglieder
haben sich diesem Antrag gestellt und natürlich
wurde ihnen allen das Vertrauen der
Mitgliedschaft ausgesprochen, für Sergej
Prokofieff von über 1000 Mitgliedern, die
hier versammelt waren. Manchmal, wenn
wir im Vorstand zu einer Abwägung nicht
genau wussten, wie wir es lösen sollten,
sagte Sergej Prokofieff: «Was würden die
lieben Mitglieder dazu sagen?» – und bei
dieser Abstimmung musste ich denken,
die lieben Mitglieder haben damals 1000-
fach in Bezug auf seine Arbeit gesprochen.
Auch haben ich und sicher auch meine
Kollegen seine Geduld bewundert. Die Sitzungen
waren lang, mit Überlegungen und
Abwägungen, und er hat – auch wenn er
nicht direkt betroffen war – zugehört, mitgetragen
und so weiter, doch wenn nach
langer Diskussion eine Entscheidung getroffen
werden musste, überraschte er uns
häufig damit, dass er längst zu seiner
Schlussentscheidung gelangt war, gewartet
hatte, bis er an die Reihe kam, um seine
Entscheidung mitzuteilen.
Überraschende Momente des Humors
sind von ihm ausgegangen, denn er konnte
sich von einem auch schwierigen Thema
genügend distanzieren, um die Lage anders
zu sehen, und dieses Anderssehen war
eigentlich der Quell seines Humors.
Häufig ist er solistisch aufgetreten, obwohl
das eigentlich nicht seine Absicht war,
es konnte aber durch seine enorme Reisetätigkeit
oft nicht vermieden werden. Wenn es
aber möglich war, gemeinsam mit jemandem
von uns oder vom Hochschulkollegium
zu wirken, dann hat er das sehr gern getan
und durchgetragen. Ich denke stellvertretend
an eine gemeinsame Tagung mit ihm
zu Weihnachten 2005: ‹Das Fünfte Evangelium
als Evangelium der neuen Mysterien›.
Es gab sechs Vorträge zu verteilen, und
er teilte sie ganz brüderlich/schwesterlich
auf nach dem Schema: einen für dich, einen
für mich, einen für dich, einen für mich …
Verantwortung gegenüber Rudolf Steiner
Sergej Prokofieff hat wichtige Initiativen
ergriffen. Fünf sehr wesentliche Tagungen
hat er jeweils zu Himmelfahrt initiiert und
durchgeführt, indem er Hauptwerke Rudolf
Steiners aufgegriffen hat, wobei dessen
christologische Sicht immer im Mittelpunkt
stand. Eine Tagung stand im Zusammenhang
mit seinem Buch ‹Anthroposophie
und die ‘Philosophie der Freiheit’›. Viele von
Ihnen haben vielleicht 2011 die Tagung zu
Rudolf Steiners 150. Geburtstag hier am
Goetheanum miterlebt, sie wurde gemeinsam
vom Vorstand am Goetheanum und
dem Vorstand der Anthroposophischen
Gesellschaft in der Schweiz gestaltet. Sergej
Prokofieff hat sehr wesentlich mitgewirkt
und einen Vortrag zu dem Thema ‹Rudolf
Steiner und Michael› gehalten.
Sehr bald danach – es ging ihm gesundheitlich
schon nicht gut – war er in Rom
und dann in Bologna beim großen Internationalen
Kongress. Sein Vortrag lautete:
‹Der Einweihungsweg Rudolf Steiners und
das Geheimnis des Ich›. Also, 100 Jahre
nach Rudolf Steiners Wirken am Philosophenkongress
1911 in Bologna spricht
wieder jemand zu diesem Thema ‹Das
Geheimnis des Ich› und Rudolf Steiner!
Sergej Prokofieff fühlte eine große Verantwortung
gegenüber Rudolf Steiner und
gegenüber den Mitgliedern der Ersten
Klasse, und aus diesem Verantwortungsgefühl
heraus entstanden zwei umfassende
Bücher für Mitglieder der Ersten Klasse,
‹Die Erste Klasse der Michaelschule und
ihre christologischen Grundlagen› (2009)
und ‹Der esoterische Weg durch die 19
Klassenstunden› (2014, abgeschlossen unmittelbar
vor seinem Tod).
In der letzten Zeit seiner Vorstandstätigkeit
stiegen immer mehr Sorgen in ihm auf,
dass das Goetheanum und die tragenden
Persönlichkeiten die notwendigen Aufgaben
nicht im Sinne von Rudolf Steiners
Erwartung und für die Erneuerung der
christlichen Mysterien genügend impulsieren
und durchtragen würden. Das war
bedrückend
für ihn, er war bereits krank
und in seiner Möglichkeit eingeschränkt,
seinen vollen Einsatz zu geben. Er stellte an
sich selbst einen hohen Anspruch an einen
christlichen Ethos.
Wenn es etwas gibt, das eine große Verehrung
oder auch einen Wahrheitswillen
verlangt, dann handelt man danach, wenn
man bemerkt, dass dieses verletzt wird.
Und so hat er anlässlich des Totengedenkens
während der Generalversammlung
am 30. März 2012, das er zu Rudolf Steiner
gehalten hat, seine Sorge zum Ausdruck
gebracht. Er hatte erlebt, dass etwas, was
für viele Menschen sehr heilig ist, nämlich
die Schreinerei, für Ausstellungszwecke
umgebaut wurde; das war tief schmerzvoll
für ihn, und als er im unbelebten, sich noch
immer im Rohbau befindlichen Nordtreppenhaus
leere Rahmen hängen sah, und
dazwischen ein ganz besonderes Bild von
Rudolf Steiner, fühlte er sich genötigt, es zu
erwähnen. Es klang wie ein Vorwurf, eine
Kritik, aber es war ein Weckruf. Ich glaube,
dass auch meine Kollegen dies als Weckruf
angenommen haben.
Michaelischer Christus-Impuls
Obwohl er zuletzt sehr leidend war, lebte
trotzdem eine große schöpferische Kraft
in ihm, immer unter dem Zeichen des michaelischen
Christus-Impulses, und heute
möchte ich als Vorstandsmitglied ihm aus
tiefstem Herzen danken – auch im Namen
der jetzigen Vorstandsmitglieder und der
Freunde in der Goetheanum-Leitung –,
in der Hoffnung darauf, dass er von seiner
Warte in der geistigen Welt miterleben
kann, wie diese Ströme der Dankbarkeit
jetzt zu ihm aufsteigen.
Wenn ich in einem einzigen Satz zusammenfassen
müsste, warum Sergej
Prokofieff in den Vorstand berufen wurde
und wie er wirkte, so ist es dieser: Er war
ein wahrer und großer Repräsentant der
Anthroposophie. | Virginia Sease, Vorstand
am Goetheanum emerita
Fassung mit weiteren biografischen AngabenUpdate 23-06-2015
bei: vorstandssekretariat@goetheanum.ch.

woensdag 24 juni 2015

Update 24-06-2015 stigmatisation-und-erkenntnis



Update 24-06-2015


stigmatisation-und-erkenntnis

Einen klärenden Diskussionsbeitrag zu strittigen Fragen möchte der Priester der Christengemeinschaft, Wolfgang Gädeke, in seinem Buch »Stigmatisation und Erkenntnis« vorlegen

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Nun, wer nicht abwarten will, kann auch die Begriffsbildung der Anhänger, Gegner und Neutralen einer näheren Analyse unterziehen und sich fragen, ob sie den Anforderungen genügt, die Steiner an die Anthroposophie alsGeisteswissenschaft gestellt hat.


Wolfgang Gädeke, Stigmatisation und Erkenntnis: Anmerkungen zu Evangeliendarstellungen und Schicksal Judith von Halles, Verlag Urachhaus 2015, 319 S.



Stigmatisation und Erkenntnis
Lorenzo Ravagli 16. Juni 2015Anthroposophie, Anthroposophische Gesellschaft, Christentum, Debatten, Esoterikforschung, Geisteswissenschaft, Judith von Halle, Stigmata


Einen klärenden Diskussionsbeitrag zu strittigen Fragen möchte der Priester der Christengemeinschaft, Wolfgang Gädeke, in seinem Buch »Stigmatisation und Erkenntnis« vorlegen. Seit dem ersten Auftreten Judith von Halles als Stigmatisierte und Autorin (2004/05) in der anthroposophischen Szene werden teils heftige Kontroversen über die Deutung dieses Phänomens und die Inhalte ihrer Publikationen geführt. Die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland hat 2006 eine Kommission zur Untersuchung der Vorgänge im Berliner Arbeitszentrum um Judith von Halle eingesetzt, die im Jahr 2008 einen Abschlussbericht vorlegte, dessen Veröffentlichung selbst wiederum von Kontroversen begleitet war. Eine Reihe von Autoren haben sich mit höchst unterschiedlichen Positionen zu Wort gemeldet, die von euphorischer Zustimmung bis zur Anathematisierung reichen. Auf der einen Seite stehen jene, die in Judith von Halle die erste moderne Eingeweihte nach Steiners Tod und eine Zeugin des lebendigen Christus sehen, auf der anderen Seite jene, die sie als »Irrlehrerin« und »falsche Prophetin« betrachten.

Als Bestandteil der anthroposophischen Lebenswirklichkeit wirft Judith von Halle eine ganze Reihe von Erkenntnisfragen auf: Sie bietet erkennend zu durchdringende Wahrnehmungsphänomene wie ihre Stigmatisation, ihre Nahrungslosigkeit und bestimmte Bewusstseinsvorgänge, die sie selbst als »Zeitreisen« bezeichnet, sie bietet aber auch eine Fülle ideeller Inhalte, die sich teils als Deutungsversuche auf die genannten Wahrnehmungen beziehen, in weit größerem Umfang aber auf das Ideengewebe der anthroposophischen Anthropologie, Christologie und Historiosophie. Diese beiden Aspekte ihrer individuellen Existenz sind kaum voneinander zu trennen, da die Beurteilung der Wahrnehmungsphänomene die Bewertung der ideellen Inhalte beeinflusst und umgekehrt. Da sich von Halle sowohl ideell als auch sinnlich in die anthroposophische Lebenswirklichkeit hineinstellt, sind die Data zur Beurteilung ihrer Selbstdeutung und ihrer Deutung durch andere aus dieser Lebenswirklichkeit zu entnehmen.

Gädeke zweifelt nicht die Tatsächlichkeit der Wahrnehmungsphänomene an, die sich durch Judith von Halle darstellen; er zweifelt auch nicht an, dass sie »geistige Wahrnehmungen« hat. Aber er wirft die Frage auf, ob diese »Wahrnehmungen zuverlässige Erkenntnisse« sind und ob die bisherigen anthroposophischen Deutungsversuche der durch von Halle dargebotenen Wahrnehmungsphänomene überzeugen. In der Fragestellung, ob Wahrnehmungen »zuverlässige Erkenntnisse« darstellen, steckt allerdings ein gewisses Problem, da Wahrnehmungen für sich genommen keine Erkenntnisse sind, und sie daher weder zuverlässig noch unzuverlässig sein können. Sie sind, was sie sind. Man könnte höchstens fragen, ob die Erkenntnisauskünfte, die jemand über seine Wahrnehmungen erteilt, zuverlässig sind oder nicht. Man kann auch nicht fragen, ob die Wahrnehmungen Judith von Halles möglich sind oder nicht, da sie sie offenbar hat. Man kann allerdings fragen und beurteilen, ob zwei Personen, die behaupten, dasselbe wahrzunehmen, tatsächlich dasselbe beschreiben. Im Ausgangspunkt der Untersuchung Gädekes verbirgt sich so eine gewisse Unklarheit, und die Frage ist, ob sich diese Unklarheit im weiteren Verlauf klärt. Auch die beiden Methoden, die Gädeke anbietet, um die von ihm aufgeworfenen Fragen zu beantworten, sind nicht sonderlich präzise formuliert: Entweder man ist Eingeweihter und vermag die »dargestellten Inhalte« von Halles selbst »durch geistige Wahrnehmung« zu überprüfen, oder man kann »die Darstellungen mit normaler Vernunft auf ihre Stimmigkeit und Plausibilität in einem gegebenen Bezugsrahmen (Anthroposophie und Neues Testament)« untersuchen. Was versteht Gädeke unter »dargestellten Inhalten«, die durch geistige Wahrnehmung überprüft werden sollen? Reine Wahrnehmungen oder Wahrnehmungsurteile? Der Ausdruck »dargestellte Inhalte« scheint einiges mehr zu implizieren, als bloße Wahrnehmungen. Und stellt die »geistige Wahrnehmung« ein ausreichendes Kriterium der Überprüfung von »Darstellungen« dar, bei denen es sich offenbar um ein Konglomerat aus Beobachtungen und Urteilen, wenn nicht gar Theorien handelt? Was ist andererseits mit den »Darstellungen« gemeint, die mit »normaler Vernunft auf Stimmigkeit und Plausibilität« untersucht werden sollen? Begriffliche Bezüge zwischen Wahrnehmungen, Theorien, oder wiederum Wahrnehmungsurteile?

Da Gädeke sich nicht für einen »Eingeweihten« hält, bleibt ihm jedenfalls nach eigener Auffassung nur die zweite Möglichkeit, die Plausibilitätsprüfung, zu der von Halle laut Gädeke sogar ausdrücklich einlädt: »Eine Prüfung der Darstellungen der Ereignisse in der Zeitenwende durch Judith von Halle an den Evangelien und an den Erkenntnissen Rudolf Steiners ist gerechtfertigt und geboten, weil sie selber die Übereinstimmung und Widerspruchslosigkeit ihrer eigenen Erkenntnisse und denen von Rudolf Steiner als notwendig gegeben ansieht.«

In der Tat behauptet von Halle in ihrem Buch »Und wäre er nicht auferstanden …«: »… dass aus unterschiedlichen Blickwinkeln der geistigen Welt sich zwar immer neue Erkenntnisse ergeben, dass sich diese aber niemals widersprechen, sondern wie Puzzle-Teile mit den von Rudolf Steiner gemachten Aussagen zusammenpassen.«

Von Halle vertritt, wie man sieht, nicht die Auffassung, sie trage »neue Erkenntnisse« vor, die bereits vorhandene berichtigten oder zu diesen im Widerspruch stünden, sondern sie erklärt ausdrücklich, diese »neuen Erkenntnisse« passten wie »Puzzle-Teile« mit den von Steiner gemachten Aussagen »zusammen«.

Dabei handelt es sich um eine Behauptung von grundlegender, systematischer Bedeutung, die sich nicht nur auf einzelne Tatsachenaussagen, sondern auf alle Tatsachenaussagen bezieht. Hätte sie erklärt, sie erhebe den Anspruch, Steiners Erkenntnisse zu erweitern oder gar zu korrigieren, wäre der Versuch der Validierung mit weitaus größeren Schwierigkeiten verbunden. In diesem Fall wären Aussagen über Wahrnehmungen nur überprüfbar, wenn die behaupteten Wahrnehmungen mittels der entsprechenden Methoden aufgesucht würden. Man müsste also entweder die Wahrnehmungsmethoden Rudolf Steiners oder den Bewusstseinszustand von Halles reproduzieren, um die beobachteten Inhalte verifizieren zu können. Die Frage ist, ob beide miteinander kompatibel sind. Gädeke ist offenbar nicht dieser Auffassung, wie aus dem dritten Teil seiner Untersuchung hervorgeht. Wenn aber schon die Methoden der Wahrnehmungsgewinnung unterschiedlich sind, dann ist die Erwartung, die Wahrnehmungen, zu denen sie führen, könnten übereinstimmen, von vorneherein fragwürdig. Wie kann man erwarten, dass eine konvexe und eine konkave Linse dieselben Wahrnehmungen ermöglichen? Da bei von Halle präzise Aussagen darüber fehlen, mit Hilfe welcher Methoden sie zu welchen Wahrnehmungen (oder Erkenntnissen) gelangt, ist es nicht möglich, auch nur theoretisch denkbare Überprüfungen zu formulieren. Denn während sie einerseits behauptet, aufgrund von »Zeitreisen« zu ihren »Wahrnehmungen« zu gelangen, ist andererseits die Rede davon, sie habe bereits von Kindesbeinen an »über die klassischen anthroposophisch-übersinnlichen Fähigkeiten der Imagination, Inspiration und Intuition verfügt« (Kiene). Welche Erkenntnisse oder Wahrnehmungen sie im einzelnen welchen Bewusstseinsformen verdankt, ist jedoch aus von Halles Darstellungen nicht zu entnehmen.

Da von Halle aber die Auffassung vertritt, ihre »Erkenntnisse« stünden zu Steiners »Erkenntnissen« nicht im Widerspruch, reicht ein Vergleich der jeweiligen Beobachtungsaussagen, um die behauptete Übereinstimmung zu verifizieren oder zu widerlegen. Wenn zum Beispiel Steiner ausführt, Lazarus habe sich bei seiner Auferweckung durch Jesus in einem todähnlichen Schlaf, einem Einweihungsschlaf befunden, er sei aber nicht wirklich tot gewesen, während von Halle behauptet, er sei wirklich tot gewesen und bereits in Verwesung übergegangen, dann können die beiden Aussagen – vorausgesetzt, es ist vom selben Lazarus die Rede, was ja nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann – nicht gleichzeitig wahr sein und diese Tatsache kann durch einen einfachen Vergleich festgestellt werden. In diesem Fall aber kann von Halles Behauptung, ihre »Erkenntnisse« stünden nicht im Widerspruch zu Steiners Erkenntnissen nicht wahr sein, das heißt von Halle widerspricht nicht nur Steiner, sondern auch sich selbst.

Wie ist dann die systematische Behauptung der Widerspruchsfreiheit zu interpretieren? Entweder von Halle kennt die widersprechenden Aussagen Steiners nicht oder sie erkennt nicht, dass ihre eigenen jenen widersprechen. Beides erweckt nicht gerade Vertrauen in die Validität ihrer Erkenntnismethoden. Das sagt trotzdem nichts über die Validität ihrer »Wahrnehmungen« aus – schließlich könnte sie in einer Parallelwelt einen anderen Lazarus wahrnehmen, auf den die von ihr behaupteten Aussagen zutreffen.

Die angekündigte Überprüfung führt nun Gädeke in bezug auf bestimmte Tatsachengebiete durch: die Taufe Jesu im Jordan, die Beschaffenheit des Kreuzes auf Golgatha, das Abendmahl, die Auferweckung des Lazarus und eine Reihe weiterer. Und diese Überprüfung kommt zum Ergebnis, dass von Halles Beobachtungsaussagen in jedem dieser Gebiete im Widerspruch zu den Aussagen Steiners stehen. Nicht nur dies: Sie stehen in vielen Fällen auch im Widerspruch zu der Darstellung der Evangelien. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist das vierte Kreuzeswort Jesu, das von Halle gehört haben will, das aber weder im Hebräischen noch im Aramäischen existiert. Aber was zieht man nun aus dieser Einsicht für Schlüsse? Redet von Halle wirklich von derselben Wirklichkeit wie Steiner, oder von einer ganz anderen, und behauptet sie möglicherweise nur, sie rede von derselben, ohne zu erkennen, dass sie sich in einer Parallelwelt bewegt?

Eine andere Frage ist die Deutung des Wahrnehmungsphänomens Judith von Halle. Wie ist ihre Stigmatisation zu erklären – in welchen Deutungskontext kann sie eingebettet werden? Wie ist die Bewusstseinsform zu deuten, in der die Erlebnisse auftreten, die sie als »Zeitreisen« bezeichnet? Wie lässt sich das Phänomen der Nahrungslosigkeit verstehen? Da sowohl von Halle selbst als auch die sich an sie anschließenden Interpreten (Tradowsky, Kiene) ihre Deutungsversuche aus der anthroposophischen Anthropologie und Christologie schöpfen, stellt diese auch für dieses Problem einen »verbindlichen Referenzrahmen« dar. Weil sie sich bei ihren Erklärungsversuchen sowohl mit sich selbst als auch mit diesem Referenzrahmen in Widersprüche verwickeln, sind diese Versuche für Gädeke wenig überzeugend. So stellt etwa Steiner wiederholt das Auftreten von Stigmata beim Beschreiten des christlich-gnostischen Schulungsweges als Vorbereitung der Wiederherstellung des Phantoms des physischen Leibes dar, während von Halle und die ihr zustimmenden Autoren diese Stigmata als Folge dieser Wiederherstellung interpretieren. Insgesamt erweist sich die Rezeption des komplexen Themas »Phantom« bei all diesen Autoren als unzureichend. Da sie sich lediglich auf vereinzelte Äußerungen Steiners stützen und die Vertiefung seiner Erkenntnisse im Verlauf seiner Forschungsarbeit ignorieren, gelangen sie zu teilweise höchst fragwürdigen Theorien, die mitunter sogar als originäre Erkenntnisse ausgegeben werden. Der Fragenkomplex Phantom und Auferstehung wird auch von Gädeke nur gestreift, eine umfangreiche systematische Aufarbeitung enthält die demnächst erscheinende Forschungsarbeit Frank Lindes mit dem Titel »Auferstehung« (Auferstehung: Band 1 und 2: Die Auferstehung im Werk Rudolf Steiners, Band 3: Zeitreisen und Phantom – Eine kritische Analyse).

Dagegen bietet Gädeke eine andere Erklärung für die genannten Phänomene mit Hilfe eines differenzierten Begriffs des Somnambulismus. Im Unterschied zu Prokofieff, der diesen Begriff benutzte, um von Halle zu pathologisieren, arbeitet Gädeke die positiven Aspekte des Somnambulismus heraus, die sich in Steiners umfangreichen Darstellungen zu diesem finden. Steiner hat seinen Begriff des Somnambulismus an historisch so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Jeanne d’Arc, Jakob Böhme, Paracelsus, Swedenborg, Anna Katharina Emmerick, Franz Schubert, aber auch an der literarischen Gestalt der Theodora (Mysteriendramen) erläutert. Diese differenzierten Darstellungen erlauben es, Stigmatisierte wie Emmerick, Therese Neumann von Konnersreuth und Adrienne von Speyr, aber auch Judith von Halle zu verstehen, ohne sie zu pathologisieren. Sowohl die vorübergehende Sinnesblindheit als auch die räumliche und zeitliche Fernwahrnehmung lassen sich aus Steiners Begriff des Somnambulismus zwanglos herleiten.

Gädeke rechnet sich weder den »begeisterten Anhängern« noch den »entschiedenen Gegnern« Judith von Halles zu. Er sieht seine Kritik an einigen ihrer Darstellungen, seine Nachweise einiger Fehler und Irrtümer und seinen Versuch der Deutung der Phänomene von Stigmatisation, Nahrungslosigkeit und »Zeitreisen« mit Hilfe des Somnambulismus nicht als eine Herabsetzung von Halles. Er hat, wie er betont, weder subjektiv die Absicht, ihre Person herabzusetzen, noch stellt die Einsicht, dass Menschen, die sich um Geisterkenntnis bemühen, nicht von Irrtum frei sind, seiner Ansicht nach eine Herabsetzung dar. »Auch gegenüber den Aussagen Rudolf Steiners« schreibt Gädeke in seinem Schlusswort, »ist es falsch, alles ungeprüft und gläubig für wahr anzunehmen, nur weil es von ihm gesagt oder geschrieben worden ist, wie es genauso falsch ist, alles das von ihm grundsätzlich abzulehnen, was man zunächst nicht versteht oder überprüfen kann. Wenn wir diese Haltung auch gegenüber Judith von Halle einnehmen, dann dürfen wir hoffen, auch mit denen in Frieden leben zu können, die im Einzelnen ein anderes Urteil fällen als wir selbst.

Selbst wer die Ergebnisse der Forschung von Judith von Halle für falsch hält, braucht nicht vor ihr zu warnen wie vor einem falschen Propheten. Denn ›an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen …‹ Man kann doch in Ruhe abwarten, welche Früchte ihre Forschungen auf den verschiedenen Lebensfeldern zeitigen werden.« –

Nun, wer nicht abwarten will, kann auch die Begriffsbildung der Anhänger, Gegner und Neutralen einer näheren Analyse unterziehen und sich fragen, ob sie den Anforderungen genügt, die Steiner an die Anthroposophie als Geisteswissenschaft gestellt hat.

Wolfgang Gädeke, Stigmatisation und Erkenntnis: Anmerkungen zu Evangeliendarstellungen und Schicksal Judith von Halles, Verlag Urachhaus 2015, 319 S.